Portrait von Mona May: Sebastian Prantl „Philosoph des tanzenden Körpers“

Portrait von Mona May.

Will man das umfassende künstlerische Werk Sebastian Prantls nicht nur oberflächlich begreifen, sondern tief darin eintauchen, dann ist dieser kleine Exkurs unerlässlich. Denn sein tanzkünstlerisches Schaffen ist genau an jenen historischen Schnittstellen angesiedelt, die gesellschaftsverändernde Weichen stellen. Nämlich dort, wo die Gesellschaft bereit für etwas Neues ist, sich jedoch noch schwer tut oder noch nicht den Mut hat, sich von den tradierten Vorstellungen zu lösen und zu neuen Ufern aufzubrechen.

 

 

Suche nach Neuem

Allerdings ist es angesichts der Zeit, in die Sebastian Prantl hineingeboren wurde, nicht ganz einfach diese Schnittstellen zu orten. Denn bis auf äußerst vereinzelte Tanzkünstler_innen gab es in den 70ern und den frühen 80ern des 20. Jahrhunderts, außer dem klassischen Ballett, keine Tanzkunst-Tradition, die man heroisch verlassen hätte können, um zu zeigen, dass man zu etwas ganz Neuem fähig ist, sondern nur eine weite, ausgetrocknete Steppe, die darauf wartete neu belebt zu werden.  Wenn Ihr bereit seid, mir zu folgen, dann kann es losgehen, mit dem kleinen geschichtlichen Exkurs in Sachen Tanz:

 

Das Erbe des Sonnenkönigs

Viele von uns denken noch immer unwillkürlich an Pirouetten, an wirbelnde Changement battus, an ein geschmeidiges Glissade oder einfach an kraftvolle Sprünge oder an zierliche Posen in Form von Arabesken und Attitüden, wenn sie von Tanz hören. Die Kunstform des klassischen Tanzes, also des Balletts, geistert noch immer in unseren Köpfen herum. Und das ist schade, denn seit Ludwig XIV. hat sich einiges getan.  Ich erwähne Ludwig XIV. deswegen, weil er in Bezug auf die Tanzgeschichte eine Galionsfigur darstellt. Unter der Regentschaft des Sonnenkönigs hat sich aus der höfischen Tanzform des Menuett, das klassische Ballett, wie wir es heute noch immer kennen, entwickelt. Übrigens verdankt Ludwig XIV. seinen Beinamen „Der Sonnenkönig“ angeblich seinem Auftritt als Sonne in dem Ballett „Ballet Royal de la Nuit“, das er auch mitgeschrieben haben soll.

 

 

Royale Hierarchien

Und hier sind wir beim inhaltlichen Kern der Sache, denn das Klassische Ballett folgt nach wie vor einem royalistischen, höfischen und hierarchischen Weltbild, samt seinen choreografischen Strukturen. So haben wir in beinahe jedem klassischen Ballett zwei Solisten, die symbolisch für das Königspaar, also für den König und die Königin stehen und das Volk, das durch das Corps de ballet verkörpert wird. Ende des 19. Jahrhunderts stand das Ballett an seinem Höhepunkt, und da Höhepunkte auch natürliche Umkehrpunkte darstellen, markiert die Jahrhundertwende nicht nur einen gesellschaftlichen Wandel, sondern auch den Beginn von etwas Neuem im Tanz. So wundert es nicht, dass Anfang der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts im gesellschaftlichen wie im künstlerischen Untergrund eine neue Bewegung zu keimen begann. Es war die Geburtsstunde des Dadaismus und Surrealismus, gleichzeitig stand in Europa die große Ära des Tänzerischen Expressionismus, also des Ausdruckstanzes, vor der Tür.

 

Zeit der Pioniere

Aber auch in den USA kam Bewegung in die verkrusteten Strukturen des Kunst-Establishments und der Modern Dance erblickte das Licht der Welt. Diese Zeit hat, da wie dort, große Tanzpionierinnen und Pioniere wie Martha Graham, Mary Wigman, Isadora Duncan, Harald Kreutzberg, Rudolf von Laban, Josè Limòn und viele mehr hervorgebracht. Allerdings hatte der 2. Weltkrieg und der damit verbundene Nationalsozialismus mit seinem grässlichen Gesicht im deutschsprachigen Mitteleuropa fatale Folgen für viele Künstler_innen. Denn er bedeutete das frühzeitige Aus ihrer tänzerischen Pionierarbeit und Karrieren, im schlimmsten Fall sogar das Ende ihres Lebens.

 

 

Kampf ums Überleben

Viele Künstler_innen konnten oder mussten emigrieren, um ihr Leben zu retten und schafften es trotz Verfolgung und dem Grauen dieser Zeit, nicht zugrunde zu gehen und in ihrer künstlerischen Schaffenskraft unversehrt zu bleiben.  Nach dem Ende des 2. Weltkrieges war der Ausdruckstanz, der vor allem in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich wichtige Vertreter_innen gefunden hatte, so gut wie ausgerottet. Bis auf einzelne Tänzerinnen und Tänzer, die auf Gedeih und Verderb weiterarbeiteten, um ihre Vision von einem von den klassischen Zwängen des Balletts „befreiten Tanz“ zu kreieren, herrschte weit und breit eine tänzerische Dürre. Das sollte sich bei uns erst allmählich ab den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wieder ändern.

 

Zeit des Wandels

Wobei hier besonders Rosalia Chladek (1905 – 1995) erwähnenswert ist, der mutigen österreichischen Vorreiterin und Grande Dame des „Freien Tanzes“. Von ihr gingen wichtige reformerischen Impulse aus, die zur Veränderung und Erneuerung der Tanzkunst führten. Das Chladek-System, bei dem anatomisch korrekte Bewegungsabläufe im Vordergrund stehen, genießt nach wie vor internationales Ansehen und wird noch immer weltweit unterrichtet. Hier darf ich etwas Persönliches anmerken, meine „Tanzmutter“, wie ich sie heimlich nannte, war Erika Gangl, die noch das große Glück hatte von Rosalia Chladek persönlich in Wien ausgebildet worden zu sein. Sie gründete Mitte der 70er Jahre in Linz, OÖ, ihre Lehranstalt für künstlerischen Tanz und Tanzpädagogik. Diese leitete sie auch mit viel Liebe für ihre Studentinnen und Studenten bis zu ihrem viel zu frühen Tod im Jahr 2000. Auch wenn Erika Gangl einen eigenen Stil kreierte und als Pädagogin unschlagbar war, die Anekdoten über Rosalia Chladek waren allgegenwärtig. Ich genoss an ihrer Schule meine tanzkünstlerische Ausbildung und habe ihr menschlich wie künstlerisch vieles zu verdanken.

 

 

 

Wiederkehr des Tanzes

Nun gut, dazu ein anderes Mal mehr. Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um zu Sebastian Prantl zurückzukehren. Denn der 1960 in Wien geborene Künstler mit internationalem Format ist genau in diese Zeit „der Wiederkehr des Tanzes und seiner gesellschaftlichen Wiederbelebung“ hineingeboren. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, dass Sebastian Prantl einer der wichtigen Wegbereiter des modernen zeitgenössischen Tanzes in Österreich ist. Er gehört eindeutig zu der Generation, die den Tanz als ernstzunehmende Kunstform wieder salonfähig machten und ihr den Boden bereiteten.

 

Internationale Schule

Prantl war einer der ersten Tänzer, die sich dem „Contemporary Dance“ verschrieben hatten und prägt bis heute, als einer der wichtigsten österreichischer Vertreter, nicht nur die Wiener Tanzszene wesentlich und nachhaltig mit.  Zwar hat er nicht bei Rosalia Chladek studiert und wurde auch nicht von einer ihrer Nachfolgerinnen oder einem ihrer Nachfolger ausgebildet, was ja naheliegend gewesen wäre, da er aus einer angesehenen Wiener Künstlerfamilie stammt. Seine Eltern hätten also sicher nichts dagegen einzuwenden gehabt, wäre nicht die Familie 1977 nach New York ausgewandert, wo er fasziniert die ersten Avantgarde Happenings und Tanzperformances in Manhattans Downtown miterlebte. Dadurch kam er früh mit künstlerischen Impulsen und Ansätzen in Berührung, die seinen offen und suchenden jungen Geist sicherlich sehr entgegenkamen und ihn anregten, der künstlerische Kosmopolit zu werden, der er ist.

 

Architekt des Tanzes

Denn er ist nicht „nur bloß“ ein Tänzer, er ist vielmehr ein Forscher, ein Entdecker, ein Leibphilosoph, ein Entwerfer, ein Schöpfer und Gestalter von etwas Neuem und vor allem von etwas ganz Eigenem. Bei seinen Arbeiten geht er stringent vor, nähert sich den Inhalten mehr wie ein moderner Komponist, als ein Choreograf im herkömmlichen Sinn. Dabei ist er ein Körperkünstler, der sich die Bewegung aus dem Raum und der Zeit meißelt, so wie sich ein Bildhauer seine Figur aus einem Stein meißelt und sie gleichsam aus ihm befreit. Er beherrscht die Architektur des Tanzes bis zur Vervollkommnung und lässt dabei diverse stilistische und künstlerische Mittel elegant ineinander verschmelzen. So entsteht ein Gesamtkunstwerk, das einerseits weit mehr als Tanz ist und andererseits purer Tanz ist.

 

Beseelter Tänzer

Sicher, er könnte eine junge Ausgabe des großen amerikanischen Tanzreformers Merce Chuninngham sein, der voller Experimentierfreude den Tanz reformierte und der auch heute noch als eine der führenden und einflussreichsten Persönlichkeiten des Zeitgenössischen Tanzes gilt. Aber Sebastian Prantl ist kein Abbild eines anderen großen Künstlers, er ist selbst einer. Einer von den ganz großen, die Zeit mitprägenden Künstlern. So ein Vergleich würde ihm gleich in mehrerlei Hinsicht nicht gerecht werden, denn sein Tanzschaffen ist zu komplex und vielgestaltig, inhaltlich wie ästhetisch zu umfassend, als dass er mit anderen in einen Topf geworfen werden könnte. Er ist ein tänzerischer Konzeptionist der Moderne und doch durch und durch beseelt – ausdrucksstark. Aber eben nicht im Sinn eines offensichtlichen Expressionismus, sondern vielmehr durch die subtilen und zarten Gesten oder durch ein Lächeln, das unvermutet über sein Gesicht huscht und die tiefe Ernsthaftigkeit, die ihm sonst ins Gesicht geschrieben steht, wegwischt.

 

Purismus

Dann fragt man sich, ob das aus choreografischem Kalkül heraus geschieht oder aus dem puren Menschsein heraus. Darauf werden wir keine Antwort bekommen und das ist gut so, denn das würde bedeuten, dass uns der offene Raum des freien Assoziierens und Miterlebens, den Sebastian Prantl uns anbietet, verschlossen bliebe. Bei ihm ist eben nichts bloße Attitüde. Er dringt in die Tiefen des Menschseins vor und hat zugleich die große Gabe wohltuenden Abstand zur Tragik des Lebens zu schaffen – eine ART der Distanzierung, die einen anderen Blick auf das Leben, fast möchte ich sagen auf das Wesentliche, ermöglicht. Das ist vielleicht überhaupt sein Markenzeichen: ein Purist, der die Dinge auf den Punkt bringt.

 

Rund um die Welt

Er sprengt den Rahmen und beugt sich keiner Mode. Als die anderen, inspiriert von Pina Bausch, Reinhild Hoffmann, Johann Kresnik oder Susanne Linke, um nur einige wenige zu nennen, für sich das Tanztheater entdeckten, ließ er sich nicht anstecken und blieb sich treu. Konstant und konsequent entwickelte er seine Performance Art, seine tänzerische Sprache und seine choreografische Notation weiter. Die Liste der Festivals an denen Sebastian Prantl und das TANZ ATELIER WIEN teilgenommen haben ist lang: Peking Arts Festival, India Dance Festival, Brasilia Dance Festival‚Winnipeg Music Festival, Styriarte, Impuls, Wiener Festwochen, Wien Modern und viele weitere Festivals in Europa. 1996 hat er gemeinsam mit Olga Neuwirth den von Ursula Pasterk gewidmeten Europäischen Kulturpreis der Akademie der Wissenschaften erhalten und 1998 dann den großen Ersten Österreichischen Produktionspreis „Joint-Venture“, was mit einer Gala-Aufführung des Werkes „Raumbühne“ im Festspielhaus St. Pölten verbunden war.

 

 

Szene im Schatten

Was gerade aus diesem Grund noch gesagt werden muss: Obwohl der moderne Tanz im Sinn des Zeitgenössischen Tanzes als Kunstform einen enormen Aufschwung genommen hat, ist er hierzulande bedauerlicherweise nach wie vor dazu verdammt, wie ein ungeliebtes Stiefkind, ein Schattendasein zu fristen. Und das ist angesichts einer starken und international gefragten heimischen Tanzszene, die mittlerweile seit Jahrzehnten nicht nur um ihre Existenzberechtigung, sondern auch um akzeptable Arbeitsbedingungen kämpft, umso trauriger. Sebastian Prantl setzte sich immer an vorderster Front für bessere Bedingungen für den Tanz und seine Tanzschaffenden ein. Es wäre wünschenswert, dass ihm und den anderen Tanzkünstler_innen endlich der Platz eingeräumt wird, der ihnen gebührt. Und nun lassen wir ihn selbst zu Wort kommen und aus seinem bewegten Leben berichten.

(hier geht’s zum Interview)

Info:

www.transartworks.net

www.karlprantl.at

Fotos: (c) TAW S. P.

 

Author: Mona May

 

 

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